Ein hoher Krankenstand kostet Unternehmen viel Geld und Ansehen. Häufig liegt die Ursache im Führungsstil, der die Mitarbeiter krank macht. Doch wo liegt der Schlüssel für verantwortungsvolles Führen? Autorin und Personaltrainerin Regina Ch. von Rolbicki hat sich mit der Frage beschäftigt.
Psychische und psychosomatische Erkrankungen sind bei den Berufskrankheiten weiter auf dem Vormarsch. Jedes Jahr steigt die Zahl der betroffenen Arbeitnehmer und sorgt unter anderem für einen enormen Kostenfaktor in den Unternehmen. Untersuchungen zeigen, dass die durchschnittlichen Krankheitskosten pro Arbeitnehmer bei rund 4.000 Euro liegen. Und: Die betroffenen Mitarbeiter werden immer jünger!
Die Gründe dafür sind vielfältig. Demographischer Wandel, Fachkräftemangel, Produktivitätssteigerung – immer mehr Aufgaben in immer kürzerer Zeit sind häufig genannte Faktoren, wenn es darum geht, die negativen Entwicklungen im eigenen Unternehmen oder Bereich zu erklären. Selten genannt und deutlich unterschätzt wird der Faktor Führung. Die Führungskultur im Ganzen und das Führungsverhalten im Einzelnen beeinflussen im hohen Maß, wie zufrieden jemand mit seiner Arbeit ist – ob er gesundheitlich fit bleibt oder langfristig krank wird oder sogar gleich ganz den Betrieb wechselt.
Ein Beispiel ist Arnold S. Er ist Betriebsleiter eines Mitarbeiterrestaurants in einem renommierten mittelständischen Unternehmen und für zehn Mitarbeiter in Voll- und Teilzeit in der Küche und dem Restaurant verantwortlich. Im Schnitt bewirtet sein Team 200 Gäste pro Tag. Er ist sehr ehrgeizig und zielorientiert. Seine Maxime lautet, den Gästen die Qualität eines Sterne-Restaurants zu bieten und gleichzeitig kostendeckend zu wirtschaften. Dafür verlangt er von sich und seinem Team alles ab. Er selber arbeitet selten weniger als zwölf Stunden. Leider wird es immer schwieriger, geeignetes Personal zu finden. Und zwar Personal, das sich engagiert und seinen Leitgedanken mitträgt. Häufig melden sich Mitarbeiter aus seinem Team wegen jeder Kleinigkeit krank oder kündigen nach ein paar Monaten. Erst kürzlich sagte ihm ein Mitarbeiter, dass die Hektik und der Stress an die Substanz gehen. Was soll er machen? Schließlich hat er von der Geschäftsführung einen Auftrag und da muss jeder sein Bestes geben.
Und er selbst macht ja auch nicht krank, obwohl er sich immer häufiger wie ausgebrannt fühlt. Er wird eben gebraucht. Im letzten Monat hat der neue Geschäftsführer im Führungskreis bekannt gegeben, dass im gesamten Unternehmen ein Gesundheitsmanagement eingeführt werden soll und er darauf zählt, dass alle Führungskräfte dies tatkräftig unterstützen. Nach dem Meeting hat ihn der Geschäftsführer zur Seite genommen und hervorgehoben, wie wichtig das Mitarbeiterrestaurant in dem Vorhaben sei. Was dann kam, hat Anton S. sehr verunsichert. Er musste dem Geschäftsführer die hohe Krankheitsquote von über 7,5 Prozent in seinem Bereich erklären. Ebenso unzufrieden zeigte er sich mit dem häufigen Personalwechsel. Die von Arnold S. genannten Gründe wollte der Geschäftsführer nicht gelten lassen und hat ihm vorgerechnet, welche Kosten dies im Laufe eines Jahres verursacht. Verabschiedet hat er Arnold S. mit den Worten: „Sie müssen Ihre Mitarbeiter gesund führen und dafür sorgen, dass sie sich an ihrem Arbeitsplatz wohlfühlen.“
Arnold S. versteht die Welt nicht mehr. Was ist gesundes Führen überhaupt? Wenn heute von „gesund führen“ gesprochen wird, geht es nicht darum, die Mitarbeiter zu mehr sportlicher Aktivität anzuhalten, sondern ein Arbeitsumfeld zu schaffen, welches das Wohlbefinden der Mitarbeiter insgesamt fördert. Dies fängt schon damit an, dass man ein offenes Ohr für die Mitarbeiter hat und auf deren Bedürfnisse eingeht. Es bedeutet gleichfalls, einen wertschätzenden Umgang zu pflegen und darauf zu achten, dass die Belastungsgrenze des Einzelnen und des Teams nicht permanent überschritten wird. Die Basis, um dies als Führungskraft zu leisten, ist der gesundheitsbewusste Umgang mit sich selbst, denn wer gestresst ist und stets „am Limit“ leistet, kann nicht gesund mit anderen umgehen (Unsere Checkliste: Gesund führen). Allerdings wird das durch überzogenen Ehrgeiz, fehlendes Selbstmanagement und hohe Anforderungen des eigenen Vorgesetzten häufig nicht gesehen oder gerät in Vergessenheit. Ähnlich gelagert ist es bei Anton S. Er hat zu 100 Prozent seinen Auftrag im Blick gehabt und sich nichts geschenkt, um diesen tadellos zu erfüllen.
Aus den Augen verloren hat er dabei seine Mitarbeiter, die Basis für einen langfristigen Erfolg. Von seiner eigenen Gesundheit ganz zu schweigen. Wie lange würde das noch gut gehen? Fakt ist: Sich und andere gesund zu führen, gehört heute zu den Schlüsselqualifikationen einer Führungskraft, die jeder lernen kann und muss.
Auch wenn der neue Führungsstil im ersten Moment etwas mehr Zeit kostet, die Investition lohnt sich! Die Mitarbeiter fühlen sich „Wert – geschätzt“, als Mensch wahrgenommen – der ureigene Wunsch aller Menschen. Das Ergebnis ist ein gesteigertes Selbstwertgefühl. Die Mitarbeiter können eine tragfähigere Identifikation mit den Aufgaben entwickeln und die unvermeidbaren stressigen Spitzenzeiten leichter bewältigen. Gesundes Führen ist also ein entscheidender Faktor für den Erfolg des Unternehmens, keine Zukunftsvision und vor allem eines: messbar.
Messbar nicht nur an der Leistung der Mitarbeiter, sondern an den Fehlzeiten der Belegschaft. Im Schnitt hat jeder Berufstätige 2014 knapp 15 Tage gefehlt, wie aus dem aktuellen Gesundheitsreport der Techniker Krankenkasse hervorgeht. Am häufigsten blieben die Mitarbeiter aufgrund von „Erkrankungen des Bewegungsapparats“ fern vom Arbeitsplatz, gefolgt von „Psychischen Störungen“, „Verletzungen“ sowie „Krankheiten des Atmungssystems“. Mit im Schnitt 41 (Frauen) bis 45 Tagen (Männer) ist die Dauer der Arbeitsunfähigkeit bei „Psychische Erkranken“ am höchsten. Besonders alarmierend: Die Zahl der Fehlzeiten aufgrund von Burnout und Depressionen nimmt weiter zu und hat im Jahr 2014 erneut einen traurigen Höchststand erreicht.
… ist keine Heldentat, sondern kommt dem Unternehmen teuer zu stehen! Man spricht von Präsentismus, wenn Mitarbeiter krank zur Arbeit gehen. Viele Studien unter anderem von Booz & Company belegen, dass die dadurch entstehenden Kosten doppelt so hoch sind, als wenn der Mitarbeiter bis zur Genesung zu Hause bleibt. Angeschlagene Mitarbeiter können sich schwerer konzentrieren. Folglich kommt es zu einer verminderten Leistung, die Fehler- und Unfallquote steigt. Im ungünstigsten Fall steckt der Mitarbeiter nicht nur andere Kollegen an, sondern verschleppt die Krankheit, was wiederum eine chronische Erkrankung nach sich ziehen kann.